Homophobe Ritter

Wenige Monate nach meiner Habilitation reiste ich zusammen mit meinem Partner erneut nach Polen, diesmal in den berühmten Wallfahrtsort Tschenstochau. Zu Beginn des Jahres 2005 hatte mich der Schweizer Neurochirurg Charles Probst angeschrieben und mich gefragt, ob ich einer Berufung in den Ritterorden von Jasna Gora zustimmen würde. Man wolle damit meine Verdienste um die Fruchtbarmachung der Lehre des Thomas von Aquin in traditionell katholischen Kreisen auszeichnen.

Was dem durchschnittlichen Leser höchstens von Mittelalter-Weihnachtsmärkten oder vom Karneval vertraut sein dürfte, das spielt in der katholischen Kirche noch immer eine bedeutende Rolle: das Rittertum. Die Aufnahme in einen kirchlichen Ritterorden, zumal in einen der päpstlich anerkannten, dient im katholischen Milieu nach wie vor der Respektbezeugung. Man könnte diese im Mittelalter entstandenen Institutionen als vom Papst kontrollierte Netzwerke bezeichnen. Der Souveräne Malteser-Ritterorden zum Beispiel wurde im Laufe der Jahrhunderte so einflussreich und mächtig, dass er bis heute als ein eigenes nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt anerkannt ist.

Der Jasna-Gora-Orden, für den Papst Johannes Paul II. 1998 die Schirmherrschaft übernahm, geht auf das Jahr 1643 zurück. Die Zahl der Mitglieder ist strikt auf zweiundsiebzig begrenzt, und es werden nur männliche Vertreter des wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens berufen. Dazu zählten im Jahr meines Eintritts der ehemalige polnische Staatspräsident Lech Wałęsa, Senatspräsident Stelmachówski, der Großneffe des Kaiserenkels Otto von Habsburg, Leonhard von Habsburg-Lothringen, sowie zahlreiche Universitätsrektoren, Industrielle, Mediziner aus allen europäischen Ländern.

Ich fühlte mich geschmeichelt und sagte zu. Das für den Ritterschlag erforderliche »Nihil obstat«, die Erlaubnis des Kölner Kardinals, erhielt ich auch diesmal ohne Probleme. So fand ich mich an einem Herbsttag des Jahres 2005 im barocken Festsaal des berühmten polnischen Heiligtums Jasna Gora in Tschenstochau vor den Stufen des Altares kniend wieder, wo ich in einer feierlichen Zeremonie zum Ritter geschlagen wurde. Ausgestattet mit den Ritterinsignien, einem weiten weißen, mit Wappen bestickten Mantel, goldener Ritterkette und einem Hut aus blauer Seide, ebenfalls mit dem goldenen Ritterwappen, zogen wir anschließend in feierlicher Prozession vor das Gnadenbild der Madonna von Tschenstochau, wo alle Ritter gemeinsam das »Salve Regina« sangen. In diesem erhebenden Augenblick konnte ich den ebenfalls homosexuellen Arndt von Bohlen und Haibach, den »letzten Krupp«, verstehen, der kurz vor seinem Tod alles darangesetzt hatte, auf seinem Schloss Blühnbach noch den katholischen Ritterschlag zu erhalten.

Die Aufzählung großer Namen aus dem habsburgischen Kaiserhaus und die feierliche lateinische Zeremonie erweckten bei mir zunächst den Eindruck, als handele es sich hier tatsächlich um Menschen vornehmer Intellektualität, wie es auch die vielen akademischen Titel nahelegten. Dass dies wiederum nur der heilige Schein war, bemerkte ich erst bei meinen Gesprächen mit den anderen Rittern. Die Thesen, unter anderem zur Homosexualität, die ich schon von den Herrenabenden kannte, bestimmten auch hier die Gespräche.

Einige Zeit später erfuhr ich zudem, dass Politiker und Sympathisanten der ultrarechten und extrem schwulenfeindlichen Partei »Liga Polnischer Familien« dem Ritterorden angehörten. Deren Repräsentanten forderten beispielsweise, dass Lehrer, die homosexuelle Lebensformen im Unterricht auch nur erwähnten, mit Geldstrafen belegt oder gar entlassen wurden. Ihre ersten »Erfolge« konnte die Partei mit Hilfe der Politik der Regierung Kaczyński sowie durch die Unterstützung militanter Schlägertrupps der »Allpolnischen Jugend« bei Straßenaktionen damals bereits verbuchen. Dies war für mich der entscheidende Auslöser, den Titel zwei Jahre nach dem Ritterschlag wieder zurückzugeben. Den Mut, diesen Schritt auch mit den wahren Ursachen zu begründen, hatte ich freilich damals noch nicht, sondern erklärte ihn mit Überlastung.

Allerdings muss es in meinem weiteren Umfeld jemanden gegeben haben, der von meinen wahren Gründen wusste und der Interesse daran hatte, sie öffentlich zu machen. Ich weiß bis heute nicht, wer der anonyme User war, der damals in dem Wikipedia-Artikel zu meiner Person nach der Erwähnung des Ritterschlages einfügte: »Rückgabe des Ehrentitels >Ritter von Jasna Gora< im Juli 2007 aus Protest gegen den Konservativismus und die Homophobie bestimmter polnischer Politiker, die ebenfalls dem Ritterorden nahestehen.« Ein besonders eifriger Wikipedia-Autor sorgte dann aber sehr schnell dafür, dass der Einschub aus dem Beitrag gelöscht wurde und nur noch in der »Versionsgeschichte« nachzulesen ist.

Die Ritterinsignien, die sich für mich zum Symbol für eine gegen mich gerichtete Homophobie gewandelt hatten, verbannte ich in den Keller.

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